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Der mit den Affen brüllt – Teil 2

Posted by Günter on 9. Februar 2014 in Auswanderung, Personen |

Das Leben in Rio Negro ist alles andere als ein Zuckerschlecken. Die ersten Behausungen sind notdürftig zusammengekloppte Hütten aus Urwaldholz und Palmblättern. Der Boden für den Ackerbau muss zunächst mühsam gerodet werden. Über das notwendige Saatgut verfügen die Einwohner immerhin schon. Sie haben es den ganzen weiten Weg aus der Heimat hierher mitgeschleppt. Dann erleben sie jedoch eine herbe Enttäuschung. Die Saat geht zwar in dem fruchtbaren Boden auf, aber sie wirft keine Früchte ab. Zudem haben die Einwanderer Mühe, sich dem veränderten Zeitrhythmus anzupassen. Rio Nego liegt auf der südlichen Halbkugel, also sind die Jahreszeiten vertauscht. Die Bauernregeln taugen hier allenfalls für den Misthaufen. Dazu gesellen sich gelegentliche Konflikte mit den Ureinwohnern, die wenig von den neuen Nachbarn halten, unbekannte Krankheiten und Begegnungen mit wilden Tieren. Die Einwanderer müssen bitteres Lehrgeld bezahlen und Jahre der Entbehrung überdauern.

Adam Götten aber übersteht auch diese Widrigkeiten. Zehn Jahre nach der Ankunft in der Neuen Welt heiratet er 1839 Anna Barbara Roth, die aus Reil an der Mosel zugewandert ist. Adam macht in der Folge seinem biblischen Namen alle Ehre. Von diesem einen Mann stammen bis heute mindestens 516 Nachfahren ab. Eine stolze Zahl innerhalb von nicht einmal 175 Jahren. Die Familie von Adão Goetten bleibt allerdings nicht in Rio Negro. Nach 1850 zieht sie zunächst weiter nach Santa Cecília in den Nachbarstaat Santa Catarina und schließlich in dessen Hauptstadt Curitibanos.

Der Alte mit den Mucken

Horst-Dieter Götterts Recherchen verdanken wir im Übrigen noch eine bunte Geschichte über Adam Götten, die uns den Mann jenseits von Daten und Fakten näherbringt. Die Anekdote entstammt den Lebenserinnerungen eines Brasilieneinwanderers aus Posen, der sich in der Stadt Blumenau ansiedelt und als junger Mann den damals 62-jährigen Adão Goetten kennenlernt. Gemeinsam mit einigen Freunden unternimmt er 1877 einen Trip nach Curitibanos und findet im Haus der Goettens Unterschlupf. Karl Kleine, so hieß der Reisende, entwirft in seinen Lebenserinnerungen das Porträt eines sehr urtümlichen Eifelaners, der seine Ecken und Kanten auch fern der Heimat nicht verloren hat.

… Bald ging es wieder über Campos, durch Hochwald, Busch und Sumpf immer nach Curitibanos zu. Das Leben bot hier etwas mehr Abwechslung als im eigentlichen Urwald, weil wir oft von Propeiros und anderen Campbewohnern besucht und ganze Strecken weit begleitet wurden. – An der Straße von Curitibanos hauste zu jener Zeit ein alter Deutscher namens Adam Goetten. Er war aus der Rheingegend vor vielen Jahren hierher gezogen und hatte sich – mitten unter Brasilianern – seine deutsche Muttersprache bewahrt. Der alte Adão, wie ihn alle Campbewohner nannten, war gut eingerichtet. Er hatte eine zahlreiche Familie, die aber – außer seiner Frau – die deutsche Sprache total verachtete und schon ganz und gar verbrasilianisiert war. – Zu diesem Addo nun kamen wir eine Zeitlang ins Quartier: Er nahm uns sehr freundlich auf, und wir lebten bei ihm wie Gott in Frankreich. – Aber der gute Alte hatte auch seine Mucken und konnte, unter Umständen, sehr ungemütlich werden. Wir Blumenauer bekamen auch eine kleine Probe davon.

Als wir mit Sack und Pack bei ihm einzogen, rief er seiner Frau zu: „Do geh nur her, Bärbele! Do kumme de Blumenauer Lumpe doher! Do, guck, sein dat auch Leit? Affe seins, Bäre un Elefante seins! Ha, ha, ha! Wat wollt ihr Blumenauer Lumpe bei de alte Adão?“ – Na ja, wir wurden ganz verdutzt bei diesem wunderlichen Empfang, und etliche von uns machten schon wieder kehrt. Aber das Bärbele setzt uns bald auseinander, daß ihr Alter gar nicht so uneben sei, wie er sich anstelle. Also faßten wir uns ein Herz, salutierten und marschierten mit unseren Quersäcken auf den Buckeln im Gänsemarsch nach dem Schuppen, der uns zum Quartier angewiesen worden war. Der Alte mit seiner Frau hinterdrein. Eine Weile guckten sie uns zu, wie wir unser Lager bereiteten. Dann fing der Alte wieder an: „Bärbele, nacher gibt de Leit ihr Abendbrot! Hast gehert?“ – Dann wandte er sich an uns: „Wenns gefressen hant, mäßte ihr mir wat singe! Eppes vun de alt Lieder, dat ich mit eich singe kann“. Dabei fing er schon selber an: „Nabulion, Nabulion, du Schustergesähle“ usw. – Er sang, vielmehr brüllte er das ganze Lied herunter und wollte es zu unserem Entsetzen wiederholen; aber sein Bärbele hinderte ihn daran: „No, no, nu looß de Leit doch gehe“.

Der Alte aber nahm das krumm und schnauzte seine Frau gehörig an. Beide verschwanden jetzt im Haus, und wir folgten ihnen später nach. Drinnen wurde ein gutes Abendessen für uns aufgetragen. Nach dem Essen mußten alle Mann, ob sie nun konnten oder nicht, mit dem sehr angeheiterten Adão um die Wette singen. Der Alte war unermüdlich bei diesem Gebrülle und ließ uns nicht eher los, bis wir vor Heiserkeit nicht mehr mithalten konnten. – Wenn das jeden Abend so ging, waren wir bald fix und fertig. Zum Glück aber sorgte Bärbel dafür, daß wir wenigstens nicht an jedem Abend solche Kraftproben abzulegen brauchten. Nun, wie der alte Addo sich auch gab, er hatte jedenfalls das beste Haus, das beste Vieh und den schönsten Garten. Weit und breit gab es keine bessere Wirtschaft, und der Alte war überaus gastfreundlich und gab mit vollen Händen; da konnte man sich schon etwas gefallen lassen. Nur wenn er zu viel getrunken hatte, wurde er recht ungemütlich und machte sich viele Feinde damit. – …

Zitiert nach: Horst-Dieter Göttert (unter Mitwirkung von Mário Hilário Goettems): Vom Moselland nach Brasilien. Die Föhrener Familie Kreten-Götten. Beckingen/Saar 1999.

 

In dem Text klingt es schon an: Mal abgesehen vom alten Adão zählten die Göttens zu den Einwandererfamilien, die sich recht zügig der neuen Gesellschaft anpassten. Mit anderen Worten: Sie heirateten in Familien ein, die bereits länger ansässig waren, sie nahmen Portugiesisch als Muttersprache an und hatten auch alsbald einflussreiche Ämter oder Berufe inne. Das lag daran, dass sie mehr oder weniger als einzelne Familie durchs Land zogen und auf sich allein gestellt waren. Andere deutsche Zuwandererfamilien, die sich zu mehreren am selben Ort ansiedelten, blieben oftmals über Generationen unter sich und heirateten untereinander. So blieb bei diesen Exildeutschen erstaunlicherweise auch bis heute das Hunsrücker Platt erhalten. Wer es nicht glauben mag, schaue sich bitte folgenden kurzen Filmbeitrag an. Er handelt von einer brasilianischen Gruppe, die auf Besuch in der alten Heimat ihrer Vorfahren an der Mosel ist.

In Föhren ist der Familienname Götten, der sich dort bis in das 16. Jahrhundert zurückverfolgen lässt, inzwischen ausgestorben. Ein kleines Gässchen namens Göttenecken erinnert noch daran, dass hier einst eine Familie dieses Namens beheimatet war. Ganz anders sieht das in Brasilien aus. Einige Nachfahren haben wie gesagt Karriere gemacht. Allein in späterem Wohnsitz Curitbanos sind fünf Straßen nach verschiedenen Nachfahren von Adão Goetten benannt worden. Erstens kommt es anders, zweitens in Brasilien.

Links

Homepage der Familie Goettems (inklusive Fotos einiger seiner Nachfahren –> „Os Goetten de Santa Catarina“)

Homepage von Horst-Dieter Göttert

Meine Verwandtschaft zu Adão Goetten

Adão Goetten ist ein Cousin 3. Grades meine 3xUrgroßvaters Adam Kraff. Jetzt darf man raten, wie unser gemeinsamer Vorfahr heißt. Richtig, Adam. Genauer gesagt: Adam Götten und Anna Maria Elsen. Und schließlich die Verwandtschaft von Adão zu mir im Verwandtschaftsbaum.

 

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