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Der Junge vom Hunsbuckel: Friedrich Thinnes

Posted by Günter on 9. Februar 2014 in Personen |

Friedrich Thinnes wird 1790 in Merscheid im Hunsrück geboren und schafft es aus einfachsten Verhältnissen heraus bis zum Dompropst von Würzburg. Ein durchaus beachtenswerter Lebenslauf. Damit nicht genug. Er nimmt darüber hinaus an einem der bedeutsamsten Ereignisse in der deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts teil. Hat man ja nicht so oft in seiner Familie – zumindest nicht in unserer.

Friedrich Thinnes als Dompropst 1850-1860

Friedrich Thinnes als Dompropst 1850-1860. Quelle: Zeitgenössischer Lithograf.

Ohne Perspektive

Als einfacher Junge aus dem Hunsrück hatte man es früher nicht leicht. Da hieß es: Morgens rein in die Kartoffeln, abends raus aus dem Wingert. Galt für die Hunsrücker Mädchen natürlich genauso. Und wofür die ganze Plackerei? Nix als Schulden hatten sie am Hals, unsere Ahnen. Wege aus dem Elend heraus? Fehlanzeige.

Das Handwerk mit dem vermeintlich goldenen Boden ähnelte im rheinischen Sibirien eher einem blechernen Sieb. Ein Dorf wie Rivenich zum Beispiel hatte 1720 exakt vier Handwerker: Schuhmacher, Wagner, Bäcker und Schmied. Ein paar Jahrzehnte später war auch der Bäcker überflüssig. Da hatte jedes Dorf seinen Backes – ein Backhaus. Und die Wohnhäuser des 19. Jahrhunderts verfügten meist über einen großen Backofen in der Wohnküche. Städte mit einer größeren Nachfrage nach handwerklichen Produkten gab es in Eifel und Hunsrück praktisch nicht. Und für den Export taugte die Qualität der Produkte meist nicht. Dazu war die Ausbildung zu schlecht. Wie immer gilt: Ausnahmen bestätigen die Regel.

Tja, was blieb dann noch? Lehrer zum Beispiel. Wer sich etwas pfiffiger bei Lesen und Rechnen anstellte, konnte das werden. Lange Studienzeiten brauchte es damals nicht. Mit 14 Jahren legte man los und unterrichtete seine erste Klasse. Allerdings kam dabei finanziell nicht viel herum. Die Lehrer hatten meist kaum eigenes Land, da sie keine Zeit hatten, es zu bestellen. Stattdessen liefen sie ihren Schülern hinterher, um den kargen Lohn einzutreiben, den man ihnen versprochen hatte. Kein Wunder, dass die Bauersleute auf die armen Schlucker herunterblickten, die noch weniger als sie selbst hatten. Vom sozialen Prestige stand die Dorflehrerschaft auf einer Stufe mit Tagelöhnern, Korbflechtern, Hausierern und Besen- und Bürstenmachern – jenen, die von der Hand in den Mund lebten.

Doch eine Möglichkeit zum sozialen Aufstieg stand auch den Söhnen aus Bauernfamilien in Hunsrück und Eifel offen: Sie konnten Pfarrer werden. Das lohnte sich sowohl finanziell als auch vom Ansehen her. Voraussetzung war allerdings, dass man ein Gymnasium besuchte. Daran scheiterte es meistens. Denn die Gymnasien waren dünn gesät in jenen Tagen. Jemand, der in Merscheid aufwuchs, musste dafür in der Regel in die rund 50 Kilometer entfernte Stadt Trier. Das bedeutete, man musste den Jungen irgendwo vor Ort unterbringen und Kostgeld bezahlen. Das nötige Kleingeld hatten die meisten Eltern nicht übrig. Abgesehen davon fiel ihnen auch noch eine wichtige Arbeitskraft aus, die ansonsten mehr oder weniger kostenlos zur Verfügung stand.

Ein früher Förderer macht’s möglich

In diesem Fall geht es aber um die Karriere eines Mannes, dessen Eltern sich letztlich zu dieser Entscheidung durchringen konnten. Der Glückliche heißt Dr. Friedrich Thinnes. Der Doktortitel lässt bereits erahnen, dass aus ihm etwas mehr wurde als ein gewöhnlicher Dorfpfarrer. Thinnes stammte aus Merscheid im Hunsrück, heute Teil der Gemeinde Morbach, Heimatort zahlreicher Vorfahren meinerseits und etwa 400 Einwohner groß. Dort war der spätere Domkapitular den Leuten unter dem Namen „Schleidtisch Häar“ ein Begriff, was so viel bedeutet wie: der Pastor aus dem Schleidtisch-Haus (alter Hausname).

Thinnes wird als neuntes von zwölf Kindern einer Bauernfamilie geboren. Will man es zu etwas bringen, braucht es oftmals die geeigneten Förderer. Dem kleinen Fritz ist dieses Glück beschieden. Denn zu der Zeit, als er die Dorfschule besucht – wo die Kinder damals im besten Fall Lesen und Schreiben lernten, aber meist reichte es nur für den Katechismus -, lässt sich in seinem Heimatdorf ein Professor im Ruhestand nieder. Der Mann erkennt das Potenzial des Jungen und gibt ihm Privatunterricht. Dann gelingt dem Förderer auch noch das Kunststück, die Eltern zu überreden, Friedrich auf eine höhere Schule zu schicken. Eine gute Entscheidung, wie sich herausstellen soll.

Mit 18 Jahren macht er sich nach Trier auf, besucht dort das Friedrich-Wilhelm-Gymnasium und legt mit 21 Jahren die Abiturprüfung ab. Danach arbeitet er zunächst als Pfarrer in Kusel und Blieskastel. Muss er wohl gut gemacht haben. Denn nach Ende der französischen Besatzung ernennt ihn König Ludwig I. von Bayern 1829 zum Domkapitular von Speyer. Da sich ja nicht jeder mit den katholischen Gepflogenheiten auskennt, will ich es einmal vereinfacht ausdrücken: Wenn der Bischof so etwas wie der Vorstandsvorsitzende eines Bistums ist, dann stellt das Domkapitel den Aufsichtsrat dar. Friedrich Thinnes wechselt in gleicher Funktion von Speyer ins bayerische Eichstätt, wo er gleichzeitig als Dompfarrer wirkt.

 

Der Würzburger Dom 1904. Quelle: Verlag Dr. Trenkler Co., Leipzig

Der Würzburger Dom 1904. Quelle: Verlag Dr. Trenkler Co., Leipzig

 

König Maximilian II. von Bayern, der seinem Vater während der Unruhen im Revolutionsjahr 1848 auf dem Thron nachfolgt, setzt sich persönlich beim damaligen Papst Pius IX. dafür ein, dass Friedrich Thinnes ab 22. März 1850 zum Dompropst – also quasi zum Aufsichtsratsvorsitzenden – der Kathedrale von Würzburg ernannt wird. Der Junge vom Hunsbuckel hat eine steile Karriere hingelegt.

Vom Hunsbuckel in die Geschichtsbücher

So einer taugt auch für die Politik, denkt man sich in Bayern. Während zweier Wahlperioden (1825-28 und 1849-55) sitzt er im dortigen Landesparlament. Den Höhepunkt seiner Politikertätigkeit stellt aus heutiger Sicht aber mit Sicherheit seine Zugehörigkeit zur deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche 1848/49 dar – dem geplatzten Traum von einem demokratischen Nationalstaat. Ist schon klar: Als hoher Geistlicher der katholischen Kirche und Protegé des bayerischen Königshofs ist Thinnes nun nicht gerade ein ausgemachter Revoluzzer.

 

Die Casinofraktion der Frankfurter Nationalversammlung. Quelle: Friedrich Pecht, Lithographie um 1849

Die Casinofraktion der Frankfurter Nationalversammlung. Quelle: Friedrich Pecht, Lithographie um 1849

 

Thinnes gehört in der Paulskirche dem gemäßigt liberalen bis nationalliberalen Flügel der sogenannten „Casinofraktion“ an. Damals taufen sich die Parteien noch nach den Gastwirtschaften, in denen sie sich treffen. Immerhin verleugnet Thinnes als Politiker seine Wurzeln nicht zur Gänze, nur weil er nun dem Establishment angehört. Beispielsweise setzt er sich 1825 vehement dagegen ein, dass Dienstboten in Zukunft eine einheitliche Uniform tragen sollen, wie es ein Gesetzesvorschlag im bayerischen Parlament will. Thinnes sieht darin eine Verunglimpfung der einfachen Bevölkerung, so als würde man sie mit dieser Uniform als Sklaven brandmarken.

Friedrich Thinnes verstirbt schließlich am 15. Oktober 1860 in Würzburg. Kurz zuvor hat er seinem Heimatort Merscheid, zu dem er den Kontakt nie abreißen ließ, noch einmal einen Besuch abgestattet.

Meine Verwandtschaft zu Friedrich Thinnes

Friedrich Thinnes ist ein Cousin 3. Grades meine 3xUrgroßvaters Matthias Petri. Gemeinsame Vorfahren sind: Johann Martini und Anna NN. Und schließlich die Verwandtschaft von Friedrich Thinnes zu mir im Verwandtschaftsbaum.

 

1 Comment

  • Hallo Herr Bäcker,
    eine tolle Geschichte. Der Hunsrück und die Mosel-Eifel hatten ähnliche Bedingungen. Friedrich Thinnes hatte ein Förderer, was ein wunderbarer Glücksfall war. Er hatte aber auch dazu Eigenschaften, die nicht allen Menschen gegeben sind. Denke man nur einmal an Legastheniker oder aber an Dyskalkolie. Immerhin haben 5-7% der Bevölkerung mit solchen Schwächen zu kämpfen.
    Habe für meine Enkelinnen auch etwas über die alten Zeiten geschrieben, damit sie die heutige Zeit mit dem ihrer Ahnen vergleichen können.
    Wünsche Ihnen ein gutes und gesundes Neujahr 2019
    Mit freundlichem Gruß
    W. Heid

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