Der mit den Affen brüllt – Teil 1
Erstens kommt es anders, zweitens in Brasilien. So könnte das Motto für die Lebensgeschichte von Adão Goetten/Adam Götten lauten. Zumindest für das, was wir heute darüber wissen. Dieses Wissen verdanken wir zum Beispiel so einem Zufall, wo die Dinge nicht so liefen, wie sich die Beteiligten das ursprünglich vorstellten.
Schlechter Start
Eine Familie Goettems aus Brasilien hatte ihre Vorfahren bis ins Saarland zurückverfolgen können. Nun fiel den Goettems aber auf, dass es im Süden Brasiliens noch eine zweite weitverbreitete Familie mit dem Namen Goetten gab. Goettems – Goetten. Existierte da etwa ein Zusammenhang? Hatten beide Familien gar einen gemeinsamen Ursprung? Der brasilianische Familienforscher Mário Hilário Goettems sprach seinen Forscherkollegen Horst-Dieter Göttert auf dieses Rätsel an. Vielleicht konnte der Freund aus dem Saarland weiterhelfen. Herr Göttert zeigte sich interessiert. Sobald er sich aber an die Recherche machte, stellte er rasch fest, dass die Auswandererfamilie rein gar nichts mit den saarländischen Gödems/Goettems zu tun hatte. Die Spuren führten stattdessen nach Föhren in die Eifel.
Im Nachbarort Schweich erscheint am 9. November 1815 um acht Uhr morgens, wie es der Bürgermeister Jäger penibel vermerkt, die 56-jährige Hebamme Catharina Schäfer aus Föhren.
[Sie] zeigte uns ein Kind von männlichem Geschlechte vor, erklärend, daß selbes in Föhren am achten November um vier Uhr Nachmittags von dem unbekannten Vater und der Catharina GOETTEN erzeugt worden sei, welchem Kind sie den Namen Adam beilegen wollen. Worüber wir in Gegenwart des Johann SCHAEFER, alt vierzig Jahr, Ackerer in Föhren, und des Johann ORTH, alt sechs und dreißig Jahr, Ackerer von Föhren, diesen Akt in doppeltem Original aufgesetzt haben, welche nach Verlesung von dem Deklarenten, den Zeugen und … unterschrieben wurden zu Schweich wie oben. Die Deklarentin Katharin SCHEFER erklärte, nicht schreiben zu können.“
Quelle: Geburts-Akt No. 97/1815, Standesamt Schweich. Zitiert nach: Horst-Dieter Göttert (unter Mitwirkung von Mário Hilário Goettems): Vom Moselland nach Brasilien. Die Föhrener Familie Kreten-Götten. Beckingen/Saar 1999.
Tja, dumm gelaufen. Die Zukunftsaussichten für ein unehelich geborenes Kind und dessen Mutter sind in diesen Zeiten alles andere als rosig. Die Sterblichkeitsrate von Säuglingen und Kleinkindern ist zu Beginn des 19. Jahrhunderts in der Eifelregion eh schon exorbitant hoch, wenn man es mit den heutigen Verhältnissen vergleicht. Ich behaupte mal, dass die Sterblichkeitsrate bei unehelich geborenen Kindern damals noch deutlich darüber lag. Ich kann es nicht statistisch beweisen, es ist bloß ein Gefühl, nachdem ich Tausende von Geburtseinträgen aus dieser Zeit gesehen habe.
Zu neuen Ufern
Ist schon klar: Es kommt auch in diesem Fall anders. Der kleine Adam überlebt und die Mutter Catharina Götten heiratet sechs Jahre nach seiner Geburt den Föhrener Matthias Kreten. Das Paar hat drei weitere Kinder. 1828 beschließt die Familie, über Bremen nach Brasilien auszuwandern. Über die konkreten Gründe für die Auswanderung könnte ich bestenfalls spekulieren. Deswegen lasse ich das an dieser Stelle. Ich werde das Thema irgendwann mal in einem gesonderten Beitrag aufgreifen und über die Hintergründe der Auswanderungswellen aus dem „rheinischen Sibirien“ oder „rheinischen Irland“, wie die Zeitgenossen damals liebevoll die Eifel bezeichneten, berichten.
In dem 100-seitigen Manuskript „Vom Moselland nach Brasilien“ beschreibt Horst-Dieter Göttert ausführlich den Weg, den die Göttens und Kretens bis zu ihrem Bestimmungsort in der Neuen Welt zurücklegen. Zusammen mit anderen Auswandererfamilien von Eifel, Mosel und Hunsrück gehen sie am 30. Juni 1828 in Bremen an Bord der „Charlotte & Louise“, die von Kapitän Hermann Wessels gesteuert wird. Nach drei Monaten auf hoher See erreichen sie am 2. Oktober 1828 Rio de Janeiro. Der Bremer Maler Carl Justus Harmen Fedeler hat die Brigg auf einem Gemälde festgehalten. Insofern können wir uns im buchstäblichen Sinne ein Bild von ihr machen.
Falsche Versprechen
Rio de Janeiro. Klingt erst mal nach Sonne, Strand, Samba und knappen Bikinis. Da ist man 1828 aber noch weit von entfernt. Die Odyssee unserer Auswanderer hat gerade erst begonnen. Zunächst kommt es zu einer Verzögerung der Reise, die vermutlich auf Streitigkeiten mit den brasilianischen Behörden zurückzuführen ist. In Deutschland haben die angeworbenen Kolonisten einen Vertrag unterzeichnet, der ihnen ein Stück Land im heutigen Bundesstaat Rio Grande do Sul verspricht. Dort, an der Grenze zu Uruguay, haben sich in den vier Jahren zuvor eine Vielzahl anderer Einwanderer niedergelassen, die ebenfalls aus dem Raum Eifel/Mosel/Hunsrück stammen. Nä, nä, Marie, ass dat net schien, iewerall nua Äffler dien. Dazu günstiges, fruchtbares Ackerland, zehn Jahre Befreiung von Abgaben und kostenlose Versorgung mit Lebensmitteln bis zur ersten Ernte. Für den Eifler Bauersmann und Tagelöhner aus dem 19. Jahrhundert muss sich das angehört haben, als habe er ein Stück Vorgarten vom Paradies gepachtet.
In Rio fallen die Bauersleut jedoch aus allen Wolken, als sie hören, wohin die Reise nun wirklich geht. Die brasilianischen Beamten eröffnen ihnen, dass sie an einen Ort namens Rio Negro geschickt werden, tief im Innern des Urwalds verborgen, weit weg von allen Landsleuten. „Ort“ ist allerdings maßlos übertrieben. Denn Häuser gibt es dort keine, von Geschäften, Schulen oder Kirchen ganz zu schweigen. Ja, die versprochenen Grundstücke sind immerhin schon markiert worden. Dumm nur, dass man die Ackerflächen zunächst noch roden muss.
Nach zähen Verhandlungen, die scheinbar zu nichts führen, geht es zunächst mit dem Boot weiter entlang der brasilianischen Küste nach Süden. Ziel: die Hafenstadt Paranaguá. Diese erreicht man am 28. Mai 1829. Inzwischen ist ein Jahr vergangen, seitdem man Föhren verlassen hat. Am Ziel ist man aber immer noch nicht angelangt. Jetzt beginnt ein strapaziöser Fußmarsch durch das brasilianische Hinterland. Die Einwanderer erwartet eine Wegstrecke von rund zweihundert Kilometern durch dichten Dschungel und Sumpfgebiet. Im November 1829, anderthalb Jahre nach Beginn der Auswanderung, erreicht die Gruppe, zu der Adão Goetten gehört, endlich das Ziel. Hier am Rio Negro, dem Grenzfluss zwischen den Bundesstaaten Santa Catarina und Paranà, soll die gleichnamige Siedlung entstehen, deren Gründer die deutschen Emigranten sind.
In Rio Negro verliert sich dann allerdings die Spur der meisten Familienmitglieder. Einzig Matthias Kreten findet 1929 auf einem Denkmal Erwähnung, welches das hundertjährige Bestehen der Stadt Rio Negro im Bundesstaat Paranà und deren Gründer würdigt. Über seine Frau wissen wir nur, dass sie auf der Ankunftsliste verzeichnet ist. Adams Halbgeschwister werden überhaupt nicht mehr erwähnt. Sind sie vielleicht auf der langen Überfahrt verstorben? Oder kamen sie mit dem Klima nicht klar und wurden kurz nach der Ankunft von Krankheiten dahingerafft?
—> Fortsetzung in Teil 2
1 Comment
Sou descente de Mathias Kretten, e fico muito feliz em encontrar uma parte da história de meus antepassados.
Muito Obrigada